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24.11.2022

Erste Pandemie-Welle: Sachsen Schutzmaßnahmen waren rechtens

Die Regelungen der Sächsischen Corona-Schutz-Verordnung vom April 2020 über die Kontaktbeschränkung für den Aufenthalt im öffentlichen Raum, die Untersagung von Gastronomiebetrieben und die Schließung von Sportstätten einschließlich Golfplätzen sind verfassungsgemäß. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) in ein von zwei ersten Verfahren zu den Corona-Maßnahmen der so genannten ersten Welle entschieden.

Rechtsgrundlage für die angegriffenen Verordnungsregelungen sei § 32 in Verbindung mit § 28 Absatz 1 Infektionsschutzgesetz (IfSG) in der Fassung des Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 27.03.2020 (IfSG a.F.) gewesen. Die Voraussetzungen, unter denen nach diesen Vorschriften Ge- und Verbote zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten erlassen werden konnten, lagen laut BVerwG vor. Bei Erlass der Sächsischen Corona-Schutz-Verordnung seien Menschen an COVID-19 und damit an einer übertragbaren Krankheit im Sinne des IfSG erkrankt gewesen. Auch Ge- und Verbote, die – wie hier – unabhängig von einem Krankheits- oder Ansteckungsverdacht an die Allgemeinheit gerichtet sind, hätten notwendige Schutzmaßnahmen im Sinne der genannten Vorschriften sein können.

§ 32 in Verbindung mit § 28 Absatz 1 IfSG a.F. sei in dieser Auslegung verfassungsgemäß gewesen, so das BVerwG weiter. Der Grad der verfassungsrechtlich erforderlichen Bestimmtheit hänge unter anderem von den Besonderheiten des jeweiligen Sachbereichs ab. Im Infektionsschutzrecht sei eine Generalklausel, wie sie § 28 Absatz 1 Satz 1 Halbs. 1 IfSG a.F. enthält, sachgerecht. Der Gesetzgeber könne nicht voraussehen, welche übertragbaren Krankheiten neu auftreten und welche Schutzmaßnahmen zu ihrer Bekämpfung erforderlich sein werden. Hat sich der Erkenntnisstand in Bezug auf einen neuen Krankheitserreger verbessert und haben sich geeignete Parameter herausgebildet, um die Gefahrenlage zu beschreiben und zu bewerten, könne er allerdings gehalten sein, für die jeweilige Krankheit zu konkretisieren, unter welchen Voraussetzungen welche Schutzmaßnahmen ergriffen werden können. Eine solche Kodifikationsreife für COVID-19 lag laut BVerwG im hier maßgebenden Zeitraum von Mitte April bis Anfang Mai 2020 jedoch nicht vor.

Die angegriffenen Verordnungsregelungen seien auch verhältnismäßig und damit notwendige Schutzmaßnahmen im Sinne von § 32 in Verbindung mit § 28 Absatz 1 IfSG a.F. Das Ziel der Verordnung, physische Kontakte zu vermeiden, um die Ausbreitung des Virus und der Krankheit COVID-19 zu verlangsamen, habe im Einklang mit dem Zweck der Verordnungsermächtigung gestanden. Die Annahme des Verordnungsgebers, dass dieses Ziel ohne die erlassenen Ge- und Verbote gefährdet und die Gefahr wegen einer möglichen Überlastung des Gesundheitssystems dringlich war, habe nach den Feststellungen des OVG auf einer tragfähigen tatsächlichen Grundlage beruht.

Der Verordnungsgeber habe sich für seine tatsächliche Einschätzung der Gefährdungslage insbesondere auf die Risikobewertung des Robert Koch-Institutes (RKI) stützen dürfen, das nach § 4 IfSG a.F. als nationale Behörde zur frühzeitigen Erkennung und Verhinderung der Weiterverbreitung von Infektionen unter anderem zur Auswertung und Veröffentlichung von Daten zum Infektionsgeschehen berufen ist, betont das BVerwG. Der Antragsteller habe nichts vorgetragen, was die Bewertung des RKI nach der maßgebenden ex-ante-Sicht erschüttern könnte. Dafür sei auch nichts ersichtlich.

Die angegriffenen Ge- und Verbote seien für die Zielerreichung geeignet und auch erforderlich gewesen. Es sei nicht ersichtlich, dass dem Verordnungsgeber eine gleich wirksame, weniger in die Grundrechte der Betroffenen eingreifende Maßnahme zur Verfügung stand. Angesichts der seinerzeit fehlenden Erfahrungen mit dem SARS-CoV-2-Virus habe er einen tatsächlichen Einschätzungsspielraum gehabt, der sich darauf bezog, die Wirkung der von ihm gewählten Maßnahmen im Vergleich zu anderen, weniger belastenden Maßnahmen zu prognostizieren. Dass er diesen Spielraum überschritten habe, habe das OVG ohne Rechtsfehler verneint. Die Prognose des Verordnungsgebers sei ausgehend von den tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz plausibel.

Hinsichtlich der Kontaktbeschränkungen sei ein gleich wirksames, aber weniger belastendes Mittel nicht ersichtlich gewesen. In Bezug auf gastronomische Einrichtungen habe das Gericht festgestellt, dass aufgrund der besonderen Nähe und fehlender Ausweichmöglichkeiten von Gästen und Personal ein besonders hohes Ansteckungsrisiko für eine Tröpfcheninfektion bestand. Zudem habe gerade in Szene-Vierteln die Gefahr von größeren Menschenansammlungen bestanden. Danach sei plausibel gewesen, dass selbst ein anspruchsvolles Hygienekonzept nicht so wirksam gewesen wäre wie die Schließung der Gastronomiebetriebe. In Bezug auf Golfplätze habe das OVG festgestellt, dass es auch dort Bereiche gebe, die von einer Vielzahl von Spielern zusammen aufgesucht würden und wo damit die Gefahr einer Ansteckung bestehe.

Schließlich habe das OVG ohne Verstoß gegen Bundesrecht angenommen, dass der mit den Maßnahmen verfolgte Zweck und die zu erwartende Zweckerreichung weder bezogen auf die einzelnen Maßnahmen noch insgesamt außer Verhältnis zu der Schwere des Eingriffs stehen, so das BVerwG. Dass Kontaktbeschränkungen im öffentlichen Raum sowie die Schließung gastronomischer Einrichtungen verhältnismäßig im engeren Sinne sein können, sei in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts für die Regelungen in § 28b Absatz1 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 7 IfSG in der Fassung des Gesetzes vom 22.04.2021 ("Bundesnotbremse") geklärt. Für die hier in Rede stehenden Schutzmaßnahmen aus der Anfangsphase der COVID-19-Pandemie ("erste Welle") ergebe sich nichts Anderes.

Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 22.11.2022, BVerwG 3 CN 1.21