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27.01.2023

Tarifpluraler Betrieb: Zum gewerkschaftlichen Unterlassungsanspruch

Der gewerkschaftliche Anspruch auf Unterlassung der Durchführung tarifwidriger Betriebsvereinbarungen nach §§ 1004 Absatz 1, 823 Absatz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) in Verbindung mit Artikel 9 Absatz 3 Grundgesetz (GG) erfordert eine unmittelbare und zwingende Tarifgebundenheit des in Anspruch genommenen Arbeitgebers an die maßgebenden Tarifbestimmungen. Endet diese, könne das Recht auf koalitionsgemäße Betätigung durch von diesem Tarifvertrag abweichende betriebliche Regelungen nicht mehr beeinträchtigt werden, so das Bundesarbeitsgericht (BAG).

Die Arbeitgeberin betreibt ein Eisenbahnverkehrsunternehmen und ist Mitglied in einem Arbeitgeberverband. Dieser vereinbarte mit der antragstellenden und einer weiteren Gewerkschaft Tarifverträge, die unter anderem Regelungen zur Dienst- und Schichtplanung mit unterschiedlich ausgestalteten Tariföffnungsklauseln vorsahen. Die Tarifvertragsparteien hatten eine Anwendung des § 4a Absatz 2 Tarifvertragsgesetz (TVG) bis zum 31.12.2020 abbedungen. 2019 schloss die Arbeitgeberin mit dem bei ihr bestehenden Betriebsrat eine Betriebsvereinbarung zur Schicht- und Einsatzplanung. Die antragstellende Gewerkschaft hat die Arbeitgeberin auf Unterlassung der Durchführung dieser Betriebsvereinbarung in Anspruch genommen. Die Betriebsvereinbarung verstoße gegen § 77 Absatz 3 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) und verletze ihre Koalitionsfreiheit.

Die Vorinstanzen haben die Anträge abgewiesen. Im Verlauf des Rechtsbeschwerdeverfahrens hat die antragstellende Gewerkschaft mit der Arbeitgeberin im Februar 2022 Nachfolgetarifverträge vereinbart.

Die Rechtsbeschwerde der Gewerkschaft hatte vor dem BAG keinen Erfolg. Die Tarifverträge, auf welche die Gewerkschaft ihren Unterlassungsanspruch aus §§ 1004 Absatz 1, 823 Absatz 1 BGB in Verbindung mit Artikel 9 Absatz 3 GG gestützt hat, gölten aufgrund ihrer Ablösung durch die Nachfolgetarifverträge nicht mehr unmittelbar und zwingend. Die Gewerkschaft habe den Unterlassungsanspruch auch nicht auf § 23 Absatz 3 in Verbindung mit § 77 Absatz 3 BetrVG stützen können. Das BAG musste eigenen Angaben zufolge nicht entscheiden, ob ein Verstoß gegen § 77 Absatz 3 BetrVG einen Unterlassungsanspruch nach § 23 Absatz 3 BetrVG begründen kann.

Die Betriebsvereinbarung verstoße zwar gegen § 77 Absatz 3 BetrVG, da die Schicht- und Einsatzplanung bereits im Tarifvertrag der antragstellenden Gewerkschaft geregelt war. In Anbetracht der schwierigen und ungeklärten Rechtsfragen, die sich im Fall der Anwendbarkeit kollidierender Tarifverträge mit unterschiedlichen Öffnungsklauseln für betriebliche Regelungen stellen, habe das Landesarbeitsgericht aber einen groben Verstoß in nicht zu beanstandender Weise verneint. Auf die von der Gewerkschaft angeführte Verfassungswidrigkeit des § 4a TVG sei es für die Entscheidung des BAG nicht angekommen.

Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 25.01.2023, 4 ABR 4/22