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13.05.2022

Klageserie gegen Berliner Fernwärmeversorgungsunternehmen: BGH hat erste Entscheidung getroffen

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat sich mit verschiedenen Rechtsfragen zu Preisänderungsklauseln in Fernwärmelieferungs-verträgen befasst. Es handelt sich hierbei um das erste von zahlreichen beim VIII. Zivilsenat des BGH anhängigen Verfahren, in denen Ansprüche gegen ein Energieversorgungsunternehmen geltend gemacht werden, welches in einem Berliner Wohngebiet über 700 Kunden mit Fernwärme beliefert. Auch am Land- und Kammergericht (KG) in Berlin werden in diesem Zusammenhang derzeit noch weitere Rechtsstreitigkeiten geführt.

Die Beklagte beliefert die Kläger seit 2009 auf der Grundlage der Allgemeinen Versorgungsbedingungen im Sinne von § 1 Absatz 1 der Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Versorgung mit Fernwärme (AVBFernwärmeV) mit Fernwärme. Hiernach stellt sie ihren Kunden einen verbrauchsunabhängigen Bereitstellungs- und einen verbrauchsabhängigen Arbeitspreis in Rechnung, die sie nach Maßgabe im Vertrag vorgesehener Preisänderungsklauseln jährlich anpasst.

Im Januar 2019 entschied das KG in einem anderen gegen die Beklagte gerichteten Rechtsstreit, dass die auf den Arbeitspreis bezogene Preisänderungsklausel den Transparenzanforderungen in § 24 Absatz 4 Satz 2 AVBFernwärmeV nicht genüge und damit sämtliche in den Allgemeinen Versorgungsbedingungen der Beklagten enthaltenen Anpassungsklauseln – also auch die den Bereitstellungspreis betreffende – nach § 139 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) unwirksam seien. Unter Berufung auf dieses Urteil verlangten nachfolgend mehrere ihrer Kunden von der Beklagten die Rückerstattung überhöhter Wärmeentgelte. Ab Mai 2019 legte die Beklagte ihren Abrechnungen eine geänderte Preisanpassungsformel zum Arbeitspreis zugrunde, welche sie zuvor öffentlich bekannt gegeben hatte.

Auch vorliegend haben die Kläger von der Beklagten mit ihrer Klage die Rückerstattung in den Jahren 2015 bis 2018 vermeintlich überzahlter Arbeits- und Bereitstellungspreise in Höhe von 1.980,77 Euro nebst Zinsen, die Feststellung der Unwirksamkeit der (ursprünglichen) Preisanpassungsklauseln sowie die Feststellung begehrt, dass die Beklagte zur einseitigen Änderung der Preisanpassungsklausel nicht berechtigt gewesen sei. Das Berufungsgericht ist allerdings davon ausgegangen, dass die Unwirksamkeit nach § 24 Absatz 4 Satz 2 AVBFernwärmeV nur die Änderungsklausel zum Arbeits-, nicht aber auch diejenige zum Bereitstellungspreis erfasse, und hat der Zahlungsklage deshalb lediglich in Höhe von 4,66 Euro stattgegeben. Überdies hat es festgestellt, dass die Beklagte zur einseitigen Anpassung der Preisänderungsbestimmung zum Arbeitspreis ab Mai 2019 nicht berechtigt gewesen sei; eine solche Änderung sei nur mit Zustimmung des jeweiligen Kunden möglich.

Die Revisionszulassung hat das Berufungsgericht zulässigerweise auf die Fragen der Wirksamkeit der Preisänderungsklausel zum Bereitstellungspreis und der Berechtigung der Beklagten zur einseitigen Anpassung der Preisänderungsklausel zum Arbeitspreis beschränkt. Beide Parteien haben gegen das Urteil Revision eingelegt.

Der BGH hat entschieden, dass es sich bei in Allgemeinen Versorgungsbedingungen enthaltenen Preisänderungsklauseln zum Arbeitspreis einerseits und zum Bereitstellungs- beziehungsweise Grundpreis andererseits im Regelfall und auch vorliegend um inhaltlich voneinander trennbare Vertragsklauseln handelt, die jeweils Gegenstand einer gesonderten Wirksamkeitsprüfung nach § 24 Absatz 4 AVBFernwärmeV sind. Nach Maßgabe des § 306 Absatz 1 BGB (als der bei Formularbestimmungen gegenüber § 139 BGB vorrangigen Bestimmung) führe deshalb die Unwirksamkeit einer dieser Preisänderungsklauseln nicht zugleich zur Unwirksamkeit der anderen. Da die von der Beklagten in ihren Vertragsbedingungen vorgesehene Preisänderungsklausel zum Bereitstellungspreis als solche den Anforderungen des § 24 Absatz 4 AVBFernwärmeV entspricht, könnten die Kläger mithin vorliegend keine Rückzahlung des insoweit geleisteten Wärmeentgelts verlangen. Ihre hierauf gerichtete Revision sei deshalb ohne Erfolg geblieben.

Keinen Bestand könne das Berufungsurteil hingegen haben, soweit hierin eine Befugnis der Beklagten zur Anpassung der für unwirksam befundenen Preisänderungsklausel zum Arbeitspreis allgemein verneint worden war. Vielmehr seien Fernwärmeversorgungsunternehmen im Fall einer unwirksamen Preisänderungsklausel gemäß § 4 Absatz 1 und 2 AVBFernwärmeV in Verbindung mit § 24 Absatz 4 AVBFernwärmeV grundsätzlich berechtigt und gegebenenfalls sogar verpflichtet, diese auch während eines laufenden Versorgungsverhältnisses mit Wirkung für die Zukunft einseitig an die Angemessenheits- und Transparenzanforderungen des § 24 Absatz 4 AVBFernwärmeV anzupassen.

Denn nur so könne für die typischerweise langfristig angelegten Wärmeversorgungsverhältnisse durchgängig eine kosten- und marktorientierte Preisbemessung und damit ein angemessener Ausgleich der Interessen von Versorger und Kunden gewährleistet werden. Dies habe der Senat grundlegend bereits mit Urteil vom 26.01.2022 (VIII ZR 175/19) entschieden. Davon ausgehend bedürfe es vorliegend zunächst weiterer Feststellungen dazu, ob die von der Beklagten ab Mai 2019 verwendete Änderungsklausel nunmehr den Vorgaben des § 24 Absatz 4 AVBFernwärmeV entspricht. Auf die Revision der Beklagten sei das Berufungsurteil deshalb insoweit aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das KG zurückzuverweisen gewesen.

Weitere Rechtsfragen (etwa zur Wirksamkeit der ursprünglichen Anpassungsklausel zum Arbeitspreis oder zur Anwendung der so genannten Dreijahreslösung), die vorliegend aufgrund der beschränkten Revisionszulassung beziehungsweise aufgrund mangelnder Entscheidungserheblichkeit nicht zu beantworten waren, wird der Senat eigenen Angaben zufolge voraussichtlich zeitnah in kommenden Entscheidungen zu dieser Klageserie behandeln.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 06.04.2022, VIII ZR 295/20